Am 21.11. kam es im Stadtrat zum Eklat. Ohne Vorankündigung strich der Oberbürgermeister die Wahl der städtischen Vertreter in den Betrieben mit kommunaler Beteiligung erneut von der Tagesordnung.
Daraufhin verweigerte eine Mehrheit im Stadtrat ihre Zustimmung zu der Tagesordnung, was in der Konsequenz zum Abbruch der Stadtratssitzung führte.
Ohne jede Rechtsgrundlage wollte der OB trotzdem die Stadtratssitzung fortführen und damit das Risiko, dass alle Beschlüsse des Stadtrates als rechtswidrig einkassiert würden, in Kauf nehmen. Um Schaden von der Stadt abzuwenden, haben wir daraufhin die Vertagung alles Beratungsgegenstände erfolgreich beantragt.
Rolle des Stadtrates bei der Besetzung kommunaler Unternehmen.
Unternehmen mit kommunaler Beteiligung übernehmen einen wichtigen Teil kommunaler Daseinsvorsorge, z.B. Energieversorgung, Abfallbeseitigung oder den Öffentlichen Personennahverkehr. Die Vertretungen der Bürger*innen, also der Stadtrat, hat dabei die Aufgabe, im öffentlichen Interesse die Unternehmen zu kontrollieren. Auch wenn die Amtszeit der Aufsichtsräte nicht identisch ist mit der des Stadtrates, sind die städtischen Vertreter*innen nach Kommunalwahlen unverzüglich neu zu bestimmen, da auch für die Besetzung der Aufsichtsräte gilt, dass sie nach den Mehrheitsverhältnissen im Stadtrat zu besetzen sind (Spiegelbildlichkeit).
Die Kommunalwahl fand vor einem halben Jahr am 26. Mai 2019 statt. Damit ist die Neubesetzung der städtischen Gremien, auch der Aufsichtsräte, überfällig. Es agieren dort aktuell noch Vertreter, die weder dem Stadtrat angehören noch Mitglied ihrer einst entsendenden Partei sind.
Nun ist es zu einem Hickhack über die Frage gekommen, nach welchem Verfahren die Besetzung geschehen soll, zumal der Sächsische Landtag 2017 den Gemeinderäten dafür einen größeren Spielraum einräumte.
Beratung zur Hauptsatzung und Geschäftsordnung des Stadtrates
Ihrer Rolle als stärkste Kraft im Stadtrat Dresdens gerecht werdend, hat die GRÜNE-Fraktion bereits im Juli Änderungsvorschläge für die Hauptsatzung und die Geschäftsordnung des Stadtrates mit dem Ziel vorgelegt, die Arbeitsfähigkeit des Stadtrates ab Konstituierung im September 2019 sicherzustellen. In mehreren Beratungen während der Sommerpause, an denen auch die CDU beteiligt war, wurde auch über das Besetzungsverfahren der Aufsichtsräte gesprochen. Dafür kamen drei verschiedene Verfahren in Frage:
- Das Einigungsverfahren: Dieses Verfahren bedeutet, dass sich der Stadtrat insgesamt auf eine gemeinsame Liste zur Besetzung städtischer Aufsichtsräte einigt. Dieses Verfahren kam für uns GRÜNE schon alleine deshalb nicht in Frage, weil es auch einer Einigung mit der AFD bedurft hätte, mit der wir jede Form der Zusammenarbeit im Stadtrat ablehnen.
- Das Besetzungsverfahren: Dieses Verfahren erlaubt es den Fraktionen gemäß des in der Hauptsatzung vorgesehen Zählverfahrens ihre Vertreter*innen zu benennen. Da in der aktuellen Hauptsatzung in diesen Fällen das Zählverfahren nach d`Hondt vorgesehen ist, das große Fraktionen gegenüber kleineren deutlich bevorzugt, hat sich die GRÜNE Fraktion, obwohl sie von diesem Verfahren am meisten profitiert hätte, dagegen ausgesprochen, weil es besonders in den kleinen Gremien (in Aufsichtsräten haben Vertreterinnen des Rates zwischen 4 und 9 Sitze) die kleinen Fraktionen faktisch aussperrt. Außerdem kann es bei dem Besetzungsverfahren zu Pattsituationen kommen, bei denen nach Gemeindeordnung die zu vergebenen Plätze ausgelost werden müssten, eine nicht eben demokratische Variante, die i.ü. in Dresden auch durch die Hauptsatzung ausgeschlossen ist.
- Das Wahlverfahren: Wir haben deshalb von vorn herein das Wahlverfahren präferiert, weil es am demokratischsten ist und vor allem eine spiegelbildliche Vertretung des Stadtrates (über die Gesamtheit der Aufsichtsräte gesehen), sicherstellt. Als Faustregel sollte dabei für ca. 140 durch den Stadtrat zu besetzenden Aufsichtsräten gelten: Für jedes der 70 Stadtratsmitglieder zwei Aufsichtsmandate. Besser und fairer kann man die Stimmenverhältnisse im Stadtrat nicht abbilden. Um dies zu erreichen, ist es allerdings erforderlich, Listen vorzuschlagen, die Vertreter*innen unterschiedlicher Fraktionen oder auch Fraktionslose beinhalten.
Diese Vorgehensweise haben wir bereits im Juli und August mit Vertretern von LINKEN, SPD und CDU erörtert. Die ebenfalls eingeladene FDP erschien zu diesen Gesprächen nicht. Dabei signalisierten die Vertreter der CDU, dass sie den Vorschlag nachvollziehbar und fair finden würden, zumal in der Vergangenheit (vor 2009) die Aufsichtsräte nach einem ähnlichen Prinzip im Einigungsverfahren besetzt wurden.
Da die Beratung von Geschäftsordnung und Hauptsatzung noch weitere komplexe Sachverhalte beinhalten und am Ende auch noch der Oberbürgermeister verschiedenste Änderungsvorschläge unterbreitete, kam ein Beschluss über Hauptsatzung und Geschäftsordnung zur konstituierenden Sitzung nicht zustande.
In einer gemeinsamen Beratung aller Fraktionen mit der Abteilung Stadtrat und dem Rechtsamt der Verwaltung zu diesen Fragen Anfang Oktober informierte der zuständige Verwaltungsmitarbeiter Herr Tostmann, dass er beabsichtige, im Falle des Besetzungsverfahrens bei den Aufsichtsräten immer dann eine Wahl durch den Stadtrat durchzuführen, wenn sich nach dem Zählverfahren d´Hondt ein Patt zwischen zwei Kandidat*innen ergeben würde. Auf Rückfrage, ob das Wahlverfahren mit eingereichten Listen auch für alle zu besetzenden Aufsichtsräte angewendet werden könne, antwortete Herr Tostmann im Namen der Verwaltung, dass dies durch Beschluss des Stadtrates so festgelegt werden könne. Dies schien uns vor allem auch deshalb sinnvoll zu sein, da es sonst zu der paradoxen Situation käme, dass ein Teil der Aufsichträte durch den kompletten Stadtrat bestimmt würden und ein anderer Teil nur von der entsendenden Fraktion.
Zwischen den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE, SPD und den fraktionslosen Stadträten wurde daraufhin eine Einigung über die Kandidat*innen erzielt, die sowohl eine faire Vertretung der einzelnen Fraktionen als auch die spiegelbildliche Vertretung des Stadtrates insgesamt sicher stellt. Darüber wurde die CDU-Fraktion mit dem Hinweis informiert, dass sie nun auch, z.B. mit der FDP, eine solche Einigung herbeiführen solle. Stattdessen entschied sich aber die CDU ihre Kandidaten auf der Basis des für sie günstigen Besetzungsverfahrens fraktionsintern zu nominieren. Auch zwischen AFD und Freien Wählern gab es offensichtlich keine Einigung, was zu dem Ergebnis geführt hätte, dass sowohl FDP als auch Freie Wähler in keinem Aufsichtsrat vertreten wären. Die Uneinigkeit im konservativen/liberalen und rechten Lager des Stadtrates führte dazu, dass bei der Stadtratssitzung am 30.10., bei der die Besetzung der Aufsichtsräte auf der Tagesordnung stand, plötzlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Listenwahl durch die CDU geäußert und keine Vorschläge eingereicht wurden. Daraufhin nahm der Sitzungsleiter Detlef Sittel, zur Überraschung der Mehrheit des Stadtrates, die Besetzungen der Aufsichtsräte mit dem Hinweis auf eine nun angeblich notwendige rechtliche Klärung von der Tagesordnung.
Diese erfolgte dann durch eine Email der Landesdirektion, in der die Zulässigkeit einer Liste mit Kandidat*innen unterschiedlicher Fraktionen grundsätzlich als rechtskonform dargestellt wurde.
Im November gab es weitere Gespräche auch mit der CDU, in denen noch einmal intensiv das für alle Seiten faire Verfahren der Besetzung erläutert wurde. Offensichtlich versuchte die CDU erst ab diesem Zeitpunkt, zu einer Einigung mit der FDP zu kommen, allerdings nicht auf der Basis des fairen Modells, jedem Stadtrat ein rechnerisches Vorschlagsrecht für 2 Plätze zuzubilligen, sondern, wie zu hören war, einer deutlich geringeren Zahl von Aufsichtsräten als es der fünfköpfigen FDP-Fraktion zustünde.
Da die Verhandlungen erst endgültig am Mittag vor der Stadtratssitzung am 21.11.2019 scheiterten, wurde durch die CDU keine Vorschlagsliste eingereicht und auf den Oberbürgermeister eingewirkt, die Wahlen abermals von der Tagesordnung zu nehmen. Statt, wie das in solchen Fällen üblich ist, kurzfristig den Ältestenrat einzuberufen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden, stieß der OB den Stadtrat vor den Kopf und nahm die Besetzung ohne einen triftigen Grund von der Tagesordnung. Wenn es alleine an der Erstellung von Wahlzetteln gelegen haben sollte, so wäre die Wahl, hätte man sie in die 2. Hälfte der Stadtratssitzung verschoben, problemlos möglich gewesen.
Insgesamt wird die „geplatzte Stadtratssitzung“ keine negativen Auswirkungen haben, da ohnehin eine Sondersitzung des Stadtrates beantragt wurde, um die VVO-Tarifgebührenerhöhung noch zu stoppen.
Zum Vorwurf, GRR würde sich bei der Listenwahl einen unberechtigten Vorteil verschaffen
Wie ausgeführt, steckt hinter der vorgeschlagenen Listenwahl der Versuch, die Verzerrungen, die durch d`Hondt zugunsten der großen Fraktionen erfolgen würden, auszugleichen und auch die kleinen Fraktionen und Fraktionslosen fair an der Besetzung zu beteiligen. Außerdem kann dadurch den völlig willkürlichen Verschiebungen, die durch ein taktisches Abstimmen in den Fällen eines Stimmenpatts entstehen könnten, entgegengewirkt werden.
Zur Erläuterung: Da LINKE und AFD jeweils 12 Stadträt*innen stellen, käme es in 8 Fällen zu einem Losentscheid, der gemäß der gültigen Hauptsatzung durch Wahlen aufzulösen ist. In 7 Fällen wäre ferner die SPD an einer solchen Wahlentscheidung beteiligt. Das könnte zu Verschiebungen führen, die eine Spiegelbildlichkeit des Stadtrates komplett konterkarieren, in dem z.B. die AFD dadurch 30 Aufsichtsratsmandate erhält, während die gleichstarke LINKE sich mit 22 begnügen müsste.
Auch bei der Listenwahl könnten (in fünf Fällen) solche Effekte eintreten. Allerdings hat GRR gegenüber der CDU als „betroffener“ Fraktion vor dem 21.11. klar signalisiert, dass man dafür in den konkreten Fällen durch entsprechendes Stimmverhalten, keine Vorteile für sich in Anspruch nehmen will.
Wie geht’s weiter
Es gibt im Prinzip drei Möglichkeiten:
- Der OB nimmt endlich seine Rolle war und unternimmt einen Einigungsversuch.
- Es findet eine Wahl statt, bei der ALLE Stadträt*innen an der Besetzung der kommunalen Aufsichtsgremien beteiligt sind, wie von GRR vorgeschlagen
- Es wird nach d´Hondt besetzt und die Fraktionen von FDP und FW gehen leer aus, und die großen Fraktionen dominieren die Aufsichtsräte.
Jeder sollte wissen, dass die großen Sieger des unter 3 beschriebenen Verfahren Die GRÜNEN wären. Wir haben uns aber gegen Egoismus und für eine faire Verteilung der Einflussmöglichkeiten auf alle Stadträte entschieden.
Michael Schmelich
22.11.19